Sprache: |
INTERVIEW MIT TOBIA BEZZOLA
»Analyse des Lichts und der Farben« ⸺ Zehn Fragen an den Kurator Tobia Bezzola von Annette Kulenkampff über den italienischen Divisionismus und die Ausstellung Revolution des Lichts im Kunsthaus Zürich.
Was versteht man unter Divisionismus und was unterscheidet ihn vom Impressionismus?
Divisionismus nennt man die italienische Spielart der in Paris unter den Titeln Neo-Impressionismus oder Pointilismus bekannten Nachfolgeströmung des Impressionismus. Wenn man so will, ist der Divisionismus also der italienische Neo-Impressionismus.
Welche sind die stilistischen Besonderheiten speziell des italienischen Divisionismus? Warum spielt das Licht in diesen Werken eine so entscheidende Rolle?
Die Analyse des Lichts und der Farben begründet die divisionistische Malweise. Die Maler brachten in ihren Werken Prinzipien der Farbtheorie und der Optik zur Anwendung. Punkte oder Striche, oft in Komplementärfarben, fügen sich zu schillernden, lichtdurchfluteten Kompositionen. Im Unterschied zu den französischen Pointilisten beschränken sich die Divisionisten aber nicht streng auf Tupfer und Punkte, sondern es werden in lockerer Weise gern auch längere, geschwungene Pinselstriche gesetzt.
Wer sind die Hauptvertreter des italienischen Divisionismus?
Es lassen sich zwei Generationen unterscheiden. Die wichtigsten Vertreter der älteren Generation sind Emilio Longoni, Angelo Morbelli, Plinio Nomellini, Giuseppe Pellizza da Volpedo, Gaetano Previati, Giovanni Segantini und Giovanni Sottocornola. In der zweiten Generation finden wir die Maler, die ihre Karriere als Divisionisten beginnen und später im Futurismus zur Reife gelangen: Giacomo Balla, Carlo Carrà, Umberto Boccioni und Luigi Russolo.
Sind die divisionistischen Künstler in erster Linie an einer neuen Ästhetik interessiert oder haben sie auch einen gesellschaftlich-politischen Anspruch? Inwieweit beeinflusste die politische Lage in Italien um 1880 die malerischen Erfindungen?
Der Divisionismus als progressive, radikale Ausdrucksform erschien den italienischen Malern als ideales Mittel, um ihren gesellschaftskritischen, von der sozialistischen und der anarchistischen Bewegung geprägten künstlerischen Aussagen Nachdruck zu verleihen.
Existiert ein divisionistisches Manifest vergleichbar dem späteren futuristischen Manifest? Wenn ja, was war die wichtigste Botschaft?
Nein, es handelt sich bei den Divisionisten um eine lockere, offene Gruppierung, gemeinsam ist eine Methode, eine Maltechnik. Doch die einzelnen Maler haben oft auch Kontakte zu anderen Strömungen und Bewegungen, insbesondere zum Symbolismus, und mit der divisionistischen Malweise bringen die Künstler unterschiedlichste Inhalte und Ideen - von katholischen bis zu anarchistischen - zum Ausdruck.
Hatte die Bewegung der Divisionisten politische Schlagkraft über die künstlerische Bedeutung ihrer Werke hinaus?
Ja, die politischen Inhalte der Gemälde - Streiks, Arbeitslosigkeit, Arbeiteraufstände - führten anlässlich von Ausstellungen - insbesondere 1891 an der Triennale in Mailand - oft zu hitzigen Debatten über die sozialen und wirtschaftlichen Spannungen der Zeit.
Beeinflusste der Divisionismus auch Künstler außerhalb Italiens?
Hier sind vor allem Maler aus der Südschweiz, Tessin und Graubünden, zu nennen, die einer langen Tradition gemäß ihre Ausbildung in der Regel an der Akademie Brera in Mailand absolvierten und so in den Bannkreis des Divisionismus gerieten: Edoardo Berta, Filippo Franzoni sowie Giovanni und Augusto Giacometti.
Viele dieser Künstler sind heute ein wenig in Vergessenheit geraten. Warum zum jetzigen Zeitpunkt diese Ausstellung? Ist die italienische Moderne heute überhaupt noch aktuell?
In Italien sind diese Künstler bis heute sehr präsent, im übrigen Europa waren sie, von Segantini abgesehen, nie sehr bekannt, außer natürlich die späteren Futuristen. Das hundertjährige Jubiläum der futuristischen Bewegung bietet einen idealen Anlass, um darauf aufmerksam zu machen, wie der italienische Divisionismus durch seinen enormen Einfluss auf die Futuristen auch die gesamte europäische Avantgarde geprägt hat.
Was interessiert Sie persönlich an den Werken dieser Künstler? Haben Sie ein Lieblingsbild in der Ausstellung?
Bis heute steht Italiens Kunst aufgrund der einzigartigen kulturellen Geschichte der Halbinsel in einem speziellen Verhältnis zu Fortschritt und Modernisierung