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INTERVIEW MIT ALEXANDRA LOSKE
Alexandra Loske ist studierte Kunsthistorikerin und arbeitet derzeit als Kuratorin am Royal Pavilion in Brighton. Ihr Interesse an der Geschichte der Farbe in der Kunst inspirierte sie zum spannenden Buchprojekt Die Farben der Kunst. Malpaletten aus fünf Jahrhunderten. Hierin erzählt sie informativ und mit viel Hintergrundwissen die Geschichten von Malpaletten bedeutender Künstler*innen. Wir haben uns mit ihr in unserem Berliner Verlagsbüro getroffen und über das Buch gesprochen.
Hatje Cantz: Frau Loske, wenn ich an eine Malpalette denke, dann stelle ich mir ein unscheinbares Objekt vor – ein flaches Holzbrett mit einer Aussparung zum Greifen. In Ihrem Buch Die Farben der Kunst befassen Sie sich mit den Paletten berühmter Künstler*innen aus über fünf Jahrhunderten. Was fasziniert Sie an diesem Gegenstand?
Alexandra Loske: Als Farbhistorikerin beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit Farbkonzepten – also damit, wie Menschen über Farben nachdenken und sie organisieren, besonders in Farbkreisen und anderen Farbdiagrammen. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zu einer Künstlerpalette, auf der Farben ebenfalls angeordnet werden. Dabei denke ich an die klassische Holzpalette, die Künstler*innen nutzen, um ihre Farben zu organisieren. Natürlich gibt es auch Paletten aus vielen anderen Materialien, auf die ich im Buch näher eingehe. Darüber hinaus haben Paletten aber auch eine symbolische Bedeutung und verbinden uns mit den Künstler*innen. Es sind Objekte, die Maler*innen in den Händen hielten und mit denen sie arbeiteten. Dadurch bringen sie uns den Künstler*innen näher. Jede Palette erzählt ihre eigene Geschichte – sei es von einer vergessenen Palette, einer, die für einen völlig anderen Zweck bemalt wurde, oder einer, die zerbrochen ist. Diese Geschichten finde ich ungemein faszinierend.
links: Edvard Munch’s Palette, undatiert, Farbe auf Holz, 43 x 29 cm, Munch Museum, Oslo. Acc. No: MM.I.00994, Foto: Munchmuseet;
rechts: Edvard Munch: Mädchen auf der Brücke, 1901, Öl auf Leinwand, 136 x 125 cm, Nationalmuseum Oslo,
Schenkung Olaf Schou 1909, Acc. No: NG.M.00844
«Munchs Palette ist geprägt von einer kalkulierten Wildheit. Die Ölfarbkleckse sind dick und von intensiver Tonalität, aber man erkennt Munchs Konzentration auf Farbkombinationen und Struktur. Am interessantesten finde ich dabei die tiefen Grüntöne, die ins Blaue übergehen.»
HC: Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass Malpaletten sowohl als Werkzeuge als auch als symbolische Objekte von Bedeutung sind. Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem die symbolische Bedeutung besonders deutlich wird?
AL: Ja, es gibt einige eindrucksvolle Beispiele. Eines der besten ist die Palette von Vincent van Gogh. Sie ist keine besonders attraktive Palette – sehr verschmiert und unordentlich. Doch sie ist von großer Bedeutung, weil wir genau wissen, für welches Gemälde sie verwendet wurde. Das ist selten, da Paletten oft gereinigt oder wiederverwendet werden. Wenn man jedoch weiß, welches Kunstwerk damit geschaffen wurde, ist das oft mit einer bewegenden Geschichte verbunden, etwa einem plötzlichen Tod oder der Tatsache, dass die Palette vergessen oder verschenkt wurde. Van Gogh hat seine Palette in einem Haus gelassen, in dem er ein Porträt einer Frau als Auftragsarbeit malte. Man kann anhand der Palette sehen, wie impulsiv und emotional er gemalt hat. Es ging ihm nicht mehr um Ordnung, sondern darum, schnell und spontan zu arbeiten. Die Palette blieb zurück, wohl weil er sie sich nur ausgeliehen hatte. Heute können wir sie betrachten und zusammen mit seinen schriftlichen Aufzeichnungen ein vollständiges Bild davon gewinnen, wie Van Gogh arbeitete. Das macht diese Palette so besonders.
HC: Oft wurden Paletten wohl nur als Gebrauchsgegenstände wahrgenommen und sind nach dem Tod der Künstler*innen in Vergessenheit geraten oder sogar weggeworfen worden. Wie ist es Ihnen gelungen, dennoch so viele Paletten für Ihr Buch zusammenzutragen? Was waren die größten Herausforderungen dabei?
AL: Das gesamte Buchprojekt war eine Herausforderung, aber auch eine sehr erfreuliche. Die Idee kam unerwartet auf mich zu und fühlte sich fast wie ein Geschenk an. Der Ursprung lag bei Julian Bell, einem Freund und Maler, der Enkel von Vanessa Bell. Ursprünglich wurde er gefragt, ob er das Buch schreiben könnte, aber aus irgendeinem Grund konnte er es nicht. Stattdessen empfahl er mich, da er meinte, das Thema passe gut zu meinen Interessen, besonders in Bezug auf Farbkonzepte und die Organisation von Farben. Die größte Herausforderung bestand darin, eine breite Auswahl an Paletten zu finden und vor allem Abbildungen davon zu erhalten. Lange Zeit wurden Paletten nicht als Kunstwerke angesehen, sondern nur als Werkzeuge. Viele gingen verloren, wurden vergessen oder weggeworfen. Erst in jüngerer Zeit hat sich das Interesse an ihnen entwickelt, und wir begreifen sie zunehmend als wertvolle Verbindung zu den Künstler*innen. Ein großes Team unterstützte mich bei der Recherche nach den Paletten. Dank meiner Arbeit im Museum wusste ich, wo und wie man nach ihnen suchen konnte, aber es war jedes Mal spannend herauszufinden, ob eine Palette noch existiert und wo sie sich befindet. Eine weitere Herausforderung war es, sicherzustellen, dass die Paletten fotografiert wurden, was viel Zeit in Anspruch nahm. Es war eine internationale Zusammenarbeit, da viele der Paletten aus Frankreich stammen. Im 19. Jahrhundert und etwas früher gab es dort ein großes akademisches Interesse an Paletten, und sie wurden früh gesammelt und archiviert. Deshalb hatten wir auch eine französische Mitarbeiterin im Team. Es war also definitiv Teamarbeit, die sehr gut funktionierte. Im Buch gehe ich auch über die klassische Holzpalette hinaus und betrachte die Ateliers der Künstler*innen, die viel über ihre Kunst aussagen. Ich untersuchte auch andere Arten von Paletten, wie zum Beispiel Aquarellkästen, die in gewisser Weise ebenfalls Paletten sind. Auch die Organisation von Pastellfarben, die zu einem Tablett voller Farbstäbchen führt, habe ich untersucht. All diese verschiedenen Arten von Paletten und ihre Nutzung waren Teil meiner umfangreichen Recherche.
links: Gabriele Münter’s Palette, undatiert, Farbe auf Holz, 43 x 33 cm, Stiftung Gabriele Münter und Johannes Eichner, München, Acc. No: D 63;
rechts: Gabriele Münter: Frühstück mit Vögeln, 1934. Öl auf Pappe, 45,7 x 55,2 cm, National Museum of Women in the Arts, Washington, DC., Schenkung Wallace und Wilhelmina Holladay, © Gabriele Münter
«Gabriele Münters Palette ist meiner Ansicht nach ästhetisch sehr ansprechend. Sie zeigt viele Mischungen von Farben, ausgeführt mit relativ kleinen Pinseln, aber auch Palettmessern, so dass wir auch Kratzer in der Farbe sehen können. Ganz besonders gefällt mir aber die Präsenz von Weiß, mit denen sie subtile Grün- und Blautöne kreierte. Weiß in vielen Manifestationen ist ein wichtiges Element in Münter’s Werken, und verleiht ihnen oft Struktur.»
HC: In Ihrem Buch behandeln Sie die Entwicklung der Malpaletten über verschiedene Epochen hinweg. Können Sie erläutern, wie sich diese Entwicklung vollzog und welche Faktoren dabei eine Rolle spielten?
AL: Eine geeignete Struktur für das Buch zu finden, war nicht einfach. Wir haben lange daran gearbeitet und sie immer wieder angepasst. Ich wollte, dass sie einigermaßen chronologisch ist, aber natürlich funktioniert das Leben und die Kunst nicht immer so. Es gibt immer Überschneidungen und Ausnahmen. Viel hängt davon ab, was den Künstler*innen zur Verfügung stand. Die Ölmalerei ist hier ein sehr wichtiger Wendepunkt. Als sich die Ölmalerei entwickelte, entstanden auch die klassischen Holzpaletten in verschiedenen Größen, die wir heute damit assoziieren. Die Materialität spielte eine große Rolle, ebenso wie die Pigmente. Pigmente sind wohl das Wichtigste. Als künstliche und preiswertere Pigmente verfügbar wurden, änderte sich auch die Arbeitsweise der Künstler*innen. Sie konnten an anderen Orten arbeiten und hatten mehr Möglichkeiten. Am Anfang der Ölmalerei waren chromatische Farben sehr kostbar. Auf den Paletten finden sich Erdtöne, dunkle Farben und immer ein bisschen Bleiweiß. Doch die wirklich starken und brillanten Farben wie Blau, Rot und Gelb waren schwer zu bekommen und vor allem teuer. Die Entwicklung synthetischer Farben stellte einen großen Schritt für die Malerinnen dar. Dadurch wurde die Palette viel dynamischer. Entscheidend war auch, dass die Pigmente fertig gekauft werden konnten. Als Farben in Tuben verfügbar wurden, gingen die Künstler:innen viel mehr ins Freie, was den Impressionismus ermöglichte. Und als die Farben auch noch preiswerter wurden, konnten sie größer malen und in anderen Formaten arbeiten, was sich auch auf die Größe der Ateliers auswirkte.
HC: Gibt es eine Palette, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
AL: Ich habe schon immer ein großes Interesse an den Werken von Turner und Constable gehabt. Von Turner sind zwei Aquarellpaletten erhalten, die nicht aus Holz, sondern aus Keramik bestehen. Hier wurde mir plötzlich klar, wie wichtig es für Künstler*innen ist, über den Maluntergrund nachzudenken. In der Aquarellmalerei wird meist auf weißem oder bläulichem Papier gemalt, sodass es sinnvoll ist, einen weißen Untergrund für die transparenten Farben zu nutzen, um deren Wirkung besser zu erkennen. Eine weitere Palette, die mir viel bedeutet, ist die des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi. Auf den ersten Blick entsprach sie genau meinen Erwartungen: sehr subtile Grau- und Blautöne, wie man sie aus seinen Gemälden kennt. Doch dann entdeckte ich fast in der Mitte einen kleinen Tupfer Gelb. Das führte mich zu der Frage, wo sich dieses Gelb in seinen Gemälden wiederfindet. Es wurde zu einer Art Detektivspiel, das herauszufinden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist auch die Palette von Paula Modersohn-Becker. Optisch ist sie vielleicht nicht so spektakulär, doch sie erzählt eine tragische Geschichte. Wir wissen, dass sie für eines ihrer letzten Gemälde verwendet wurde, da Modersohn-Becker kurz nach der Geburt ihres einzigen Kindes plötzlich verstarb. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich gerade etabliert und arbeitete, trotz ihrer Schwangerschaft, äußerst produktiv in ihrem eigenen Atelier. Es war ein Moment, in dem sie wohl dachte, sie könne alles erreichen. Und dann bleibt diese Palette zurück, als stille Zeugin. Das macht sie für mich sehr bedeutend. Es gibt viele Paletten, die mich beeindrucken, aber diese drei stehen besonders heraus.
links: Paula Modersohn-Becker’s letzte Palette, 1907 Farbe auf Holz und Metall, Leihgabe der Freunde Worpswedes, Käseglocke Collection, Sammlung Worpswede Touristeninformationszentrum, Foto: Rüdiger Lubricht;
rechts: Paula Modersohn-Becker: Selbstportät, Sommer 1906, Öltempera auf Pappe, 62,2 x 48,2 cm, Privatsammlung
«Ich begann dieses Buch während ich bei Freunden in Dresden in Urlaub war. Ich sah dort einige von Paula Modersohn-Beckers Gemälden und las dazu ihre Briefe, die so vor Lust am Leben sprühen, und in denen sie viel über Farbe, Farbmaterialien, und Kunst im Allgemeinen schreibt. Um so bewegender war es, sich mit ihrer Palette zu beschäftigen, die zum einen traurigen Symbol ihres frühen und plötzlichen Todes wurden, hinterlassen in ihrem Atelier in Worpswede.»
HC: Welche neuen Perspektiven auf Malpaletten möchten Sie den Leser*innen Ihres Buches vermitteln?
AL: Zu Beginn habe ich gar nicht in diese Richtung gedacht. Jetzt, wo ich das fertige Buch sehe, hoffe ich, dass die Leser*innen vor allem Freude an diesen faszinierenden Objekten haben. Nicht alle Paletten sind schön im klassischen Sinne, aber sie sind immer spannend, weil sie die Kreativität und Schaffenskraft der Künstler*innen widerspiegeln. Man kann viel über die Materialität lernen, die der Kunst zugrunde liegt und sie erst möglich macht. Außerdem wird deutlich, dass die Palette ein Symbol ist, das uns mit dem Leben der Künstler*innen und unserer Kultur verbindet und die gesellschaftlichen Umstände widerspiegelt, in denen sie genutzt wurde.
Alexandra Loske mit ihrem neuen Buch Die Farben der Kunst zu Gast bei uns im Verlag
Das Interview mit Alexandra Loske führte László Rupp im August 2024.
Headerbild Alexandra Loske © Stuart Robinson