ADRIAN GHENIE

Adrian Ghenie (*1977 in Baia Mare, Rumänien) studierte an der Universität für Kunst und Design in Cluj-Napoca, Rumänien. 2005 war er Mitbegründer der Galeria Plan B, die zunächst in Cluj-Napoca und ab 2008 in Berlin vertreten war. Seit 2006 ist Ghenie mit einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit präsent, zuletzt unter anderem 2019 in der National Gallery of Art in Washington D.C. sowie 2021 im Guggenheim Museum in New York. Seine Werke sind in bedeutenden Sammlungen vertreten, darunter im Museum of Contemporary Art in Los Angeles und im San Francisco Museum of Modern Art. Ghenie lebt in Cluj-Napoca und Berlin.

»Mir wurde deutlich, dass die Perspektive der Menschen auf die Geschichte immer ganz selbstverständlich distanziert ist. Und genau das ist ekelhaft.« ⸺ Adrian Ghenie

Die Bilder Adrian Ghenies entfalten eine verstörende Anziehungskraft: Der tote Adolf Hitler im Führerbunker, Lenin aufgebahrt nach seinem Tod, eine Figur inmitten einer Bewegung, die sich eine Buttercremetorte vom Gesicht wischt – und dabei ihre Haut zu verlieren scheint. Diese Bildwelten werfen uns nicht nur einen Blick auf die dunklen Kapitel des 20. Jahrhunderts, sie konfrontieren uns direkt mit der Gewalt und der Entmenschlichung, die diese Zeit prägten. In seiner Malerei, die sich sowohl mit historischen Bildern als auch mit persönlichen Erinnerungen auseinandersetzt, ist Ghenie ein Meister darin, das Ungeheuerliche in den alltäglichen Momenten der Geschichte sichtbar zu machen.

Sein internationaler Erfolg stellte sich in rasantem Tempo ein: Schon kurz nach dem Abschluss seines Studiums 2001, begann Ghenie 2006 mit Einzelpräsentationen in Rumänien, der Schweiz, den USA und Großbritannien. 2009 widmete ihm das Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst in Bukarest eine Retrospektive, und seine Arbeiten fanden zunehmend Eingang in die bedeutendsten Kunstsammlungen weltweit. Besonders auffällig ist der Weg des Künstlers, der zunächst mit düsteren, fast monochromen Arbeiten über die Geschichte des 20. Jahrhunderts hervortrat, sich aber in den letzten Jahren zunehmend auch mit komplexeren, lichtdurchfluteten Kompositionen beschäftigte.

Der 1977 in Rumänien geborene Künstler, der in einer Zeit der kommunistischen Diktatur unter Nicolae Ceaușescu aufwuchs, ist ein Erzähler von Geschichte. Doch diese Geschichten sind nicht die üblichen Erzählungen von Siegen und Triumphen. Sie sind Geschichten von Macht, ihrem Missbrauch und der Zerstörung von Leben. Besonders der Kontext der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, der die gesamte Generation seiner Eltern prägte, ist für Ghenie ein nie versiegendes Thema. Die Abgründe der Geschichte werden bei ihm nie distanziert oder historisch neutral betrachtet, sondern immer im Zusammenhang mit subjektiven Erfahrungen und Erinnerungen.

In seinen Arbeiten, wie etwa in Dada is Dead (2009), das eine Fotografie von der Ersten Internationalen Dada-Messe 1920 in Berlin als Grundlage nutzt, beleuchtet er auch die Verfemung und Zerstörung von Kunst und Künstlern durch die Nationalsozialisten. Ghenie erinnert daran, dass der Wahnsinn der Macht und ihre totalitären Ideologien nie nur abstrakte historische Konzepte waren, sondern das Leben von Menschen in der ganzen Welt tiefgreifend beeinflussten.

Ein zentrales Thema in Ghenies Werk ist die Kluft zwischen „objektiver“ Geschichte und der subjektiven Erinnerung. Ein markantes Beispiel dafür ist ein Interview, in dem Ghenie von seiner Mutter erzählt, die ihre Jugend in kommunistischem Rumänien verbrachte. „Sie durchlebte die schlimmste Zeit des 20. Jahrhunderts; als ich sie darauf ansprach, sagte sie nur, es sei eine großartige Zeit gewesen. […] Mir wurde deutlich, dass die Perspektive der Menschen auf die Geschichte immer ganz selbstverständlich distanziert ist. Und genau das ist ekelhaft.“

Diese distanzierte Betrachtung wird auch in seiner Kunst spürbar. Ghenie verwendet historische Fotografien und Filmaufnahmen, die er mit eigenen Erinnerungen und persönlichen Assoziationen verknüpft. So entstand zum Beispiel die Serie Pie Fight Studies, in der er Standbilder aus den Slapstick-Kurzfilmen von Laurel und Hardy oder den Three Stooges aufgreift. Was auf den ersten Blick als humorvolle Tortenschlacht erscheint, entfaltet sich bei Ghenie als ein tiefsinniges Bild über Erniedrigung und Gewalt, die stets in der Kultur und auch in den politischen Systemen des 20. Jahrhunderts verankert waren. Diese scheinbar trivialen Szenen, die aus dem Internet und alten Filmrollen stammen, werden bei ihm zu Manifestationen der Machtverhältnisse, die die menschliche Psyche prägen.

Die Farbpalette von Ghenie war in den ersten Jahren seiner Karriere stark von dunklen, gedeckten Tönen geprägt. Grau, Schwarz und tiefes Rot dominierten seine Werke. Doch ab 2015 erweiterte der Künstler seinen Ausdrucksbereich, erhellte seine Farbkompositionen und ließ in seinen Arbeiten mehr Licht und Luft zu. Die tiefen, dichten Schichten Farbe, die er mit Spachteln und Pinseln auf die Leinwand aufbringt und dann wieder teilweise abkratzt, lassen die Gemälde fast physisch spürbar werden – sie sind Materialität und Malerei zugleich. Dabei erweist sich Ghenie als ein virtuoser Techniker, der mit seinen dicken Schichten Farbe sowohl den Glanz als auch das Verfallene der Geschichte auf die Leinwand bringt. Auch die Arbeiten des späten Ghenie sind im Dialog mit der Kunstgeschichte – besonders den Barockmeistern, deren dramatisches Chiaroscuro und monumentale Kompositionen ihm als Einflussquelle dienen.

Seine Porträts von geschichtsträchtigen Figuren wie Adolf Hitler, Josef Mengele, Stalin oder Ceaușescu changieren zwischen Realismus und Abstraktion. Die Gesichter dieser Figuren erscheinen oft nur als vage Andeutungen, als seien sie in den Erinnerungen der Zeitzeugen allmählich verblasst oder verzerrt worden. Doch gerade in dieser Verflüssigung und Fragmentierung der Identität liegt die eigentliche Kraft seiner Arbeiten. Sie erinnern uns daran, wie die Gespenster der Geschichte in der Gegenwart weiterwirken und uns als Betrachter immer wieder in eine verstörende Gegenwart blicken lassen.

Ghenies Werke stellen uns vor die Frage, wie wir uns der Geschichte stellen. Nicht als passive Betrachter, sondern als aktive Akteure, die stets mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert sind. In seinem Werk Boogeyman (2010) etwa, das aus persönlichen Erinnerungen und symbolischen Bildern besteht, bezieht sich der Künstler auf das Möbelkatalog-Design der 1980er-Jahre aus seiner Kindheit, das seine Mutter aus Deutschland mitbrachte. Diese kleineren, intimeren Arbeiten lassen uns einen weiteren Blick auf Ghenies komplexes Verhältnis zur Geschichte und der eigenen Identität werfen.

veröffentlicht am 4.11.2013 – Stefanie Gommel
bearbeitet am 28.1.2024 – László Rupp


Headerbild Adrian Ghenie © Jürgen Teller

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