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LICHTKUNST
»Komm über mich, stolzes Licht, wildes Licht, brenn tief.« ⸺ László Moholy-Nagy, 1917
Lichtkunst. Kunst mit Licht? Genau. Mit Kunstlicht? So ist es. Sich nicht verzehrendes, dauerhaft zur Verfügung stehendes – also elektrisches – Licht ist eine der Voraussetzungen, die man braucht, um das zu schaffen, was man heutzutage Lichtkunst nennt. Die Auseinandersetzung mit vorwiegend künstlichem Licht, ist eine relativ junge, jedoch zunehmend eigenständiger werdende Kunstgattung.
Der oben zitierte Moholy-Nagy (1895–1946) war Lehrer am 1919 gegründeten Bauhaus; der Konstruktivist gilt als einer der »Väter« der Lichtkunst. Licht plus eine sich bewegende Skulptur – das sind die Zutaten für seinen Licht-Raum-Modulator (1922-1930), bei dem durchbrochene Scheiben und Gitter aus Metall durch einen Motor bewegt werden. Scheinwerfer strahlen das Gebilde an, und so wirft es Schatten und Lichtreflexe auf die Umgebung, die sich ständig verändern. Moholy-Nagy verband von Anfang an seine Lichtkunst mit der kinetischen Kunst, einer Kunstform, die ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts begann, sich zu etablieren. (Kinetik: Lehre von der Bewegung durch Kräfte.)
Licht, Dreidimensionalität, Bewegung, Motoren oder eine Maschinerie, die nicht nur technisches Hilfsmittel, sondern durchaus Teil der Inszenierung sein kann – die Grundelemente auch der heutigen Lichtkunst finden sich schon bei Moholy-Nagy. Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges war jedoch zunächst Schluss mit jeglichen Experimenten; es sollte bis in die 1960er Jahre dauern, bis es wieder eine Lichtkunstbewegung gab. Yves Klein, Jean Tinguely und Lucio Fontana waren für diese dann einflussreiche Vorbilder. Tafelbilder und traditionelle Skulpturen? Nein – den drei Künstlern ging es darum, die Kunst aus dem Elfenbeinturm zu befreien und ins Leben einzubinden, deshalb sollte der ganze Raum, in dem Kunst rezipiert wird, mit einbezogen werden. In Deutschland gründeten Heinz Mack und Otto Piene 1958 die Gruppe »Zero«, Günther Uecker und andere schlossen sich an. Die friedensbewegte Gruppe wollte für Naturvorgänge ein Bewusstsein schaffen. In Otto Pienes Mechanischem Lichtballett (1960) dringt Licht durch Ballons aus Stoff und durchlöcherte Metallscheiben und schafft so im ganzen abgedunkelten Raum (und nicht nur auf der Leinwand oder der Bühne wie im Film oder Theater) Licht- und Schattenspiele.
Die Lichtkünstler in Frankreich schlossen sich 1960 zur »Groupe de Recherche d´Art Visuel« (GRAV) zusammen. François Morellet und Julio Le Parc waren unter anderem Mitglieder. Visuelle Phänomene durch Experimente anschaulich zu machen, neue Technologien und das Verhältnis von Licht und Bewegung – das waren Schwerpunkte ihrer Arbeit.
Die so genannte Op Art (Optical Art) ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Ihr Interesse gilt der visuellen Wahrnehmung, dem Vorgang des Sehens an sich. Um diesen bewusst zu machen, bedienten sich ihre Vertreter*innen – zu denen unter anderem Victor Vasarely und eben auch Heinz Mack, Günther Uecker und die Künstler der GRAV gerechnet werden – Strukturreliefs, Licht- und Buchstabenrastern, Farbkontrasten, die das Auge des Betrachters bewusst überbeanspruchen.
In den USA konstruierte der Minimalist Dan Flavin (1933–1996) zunächst Licht-Ikonen, leere Flächen an Wänden, die von Glühbirnen gerahmt wurden. Richtig berühmt wurde er mit seinen Installationen aus überall im Handel erhältlichen farbigen Neonröhren, die sich den Raum erobern, sich den Besucher*innen auch mal als Lichtschranken in den Weg stellen können ... und die farbige Lichträume kreieren, die für ein sinnliches Erlebnis sorgen. James Turrell (*1943) lebt und arbeitet in Flagstaff – wenn er nicht gerade, wie seit 1977, unterirdische Gänge und Räume in den Roden Crater, einen erloschenen Vulkan in der Wüste Arizonas, gräbt. Finden diese Gänge oder Kammern ihren Weg an die Erdoberfläche, so wird den Besucher*innen eine völlig neue Erfahrung des Lichts, des Himmels und des Horizonts ermöglicht – »the other horizon« nennt Turrell dieses Phänomen. Lichträume, die aus dem Dunkel kreiert werden und »Kunst als Wahrnehmungsübung mittels Licht« – das sind seine Themen.
Keith Sonnier (*1941) beschäftigt sich seit den 1960er-Jahren mit künstlichem Licht – oft in Zusammenhang mit Architektur: Für unterirdische Passagen der Münchner Rückversicherungsgesellschaft entwarf Sonnier eine faszinierende Beleuchtung aus Neonröhren, die die nüchternen Gänge in ein Meer aus Gelb, Orange, Rot, Lila etc. tauchen. Ein weiteres spektakuläres Projekt stellen die bunten Neonschlangen dar, die sich durch einen Glaskubus winden, der dem Kirchenneubau von Steyr in Österreich aufgesetzt wurde.
Ebenfalls aus den USA stammt eine der zur Zeit berühmtesten Lichtkünstlerinnen: Jenny Holzer (*1950). Auf Anzeigetafeln in Flughäfen, auf Reklameboards am New Yorker Times Square, auf viele Meter langen LED-Leuchtanzeigebändern, die sich durch die spiralförmige Rampe des Solomon R. Guggenheim Museums oder das Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle winden – überall verbindet Holzer Sprache und Schrift mit Licht, um ihre sozialkritischen Kurzbotschaften wie etwa Money Creates Taste (Flughafen Las Vegas) öffentlich sichtbar zu machen und zum Nachdenken anzuregen. Ihre erste so geartete Arbeit nannte sich denn auch Truisms (Binsenwahrheiten, 1977-1979). Ihr jüngstes Projekt präsentiert Texte, die mithilfe von Xenon-Scheinwerfern auf Gebäude, Plätze oder sogar Flüsse projiziert werden.
Wabernder Nebel, durch den eine künstliche Sonne diffus-gelbes Licht schickte – die Besucher der Ausstellung The Weather Project (2003) in der Tate Modern in London trauten ihren Augen kaum. Gut so! mag sich der Däne Olafur Eliasson (*1967) gedacht haben, denn das Verhältnis von Natur und unserer Wahrnehmung von Natur, von Künstlichkeit und Natürlichkeit, kurz »wahrzunehmen, was wir wissen, und zu wissen, was wir wahrnehmen«, ist sein Thema. Dazu entwirft er Licht- und Spiegelarbeiten, die oft wissenschaftlichen Versuchsanordnungen gleichen.
Ein warmes Leuchten gefolgt von einem gleißenden Blenden, klare Töne gefolgt von mechanischen Geräuschen, sogar Temperaturveränderungen (bei White Noise) – auch Gunda Förster (*1967) aus Berlin zielt mit ihren Rauminstallationen auf die Sinneswahrnehmungen der Besucher*innen. Diese wissen nie, was sie als Nächstes erwartet – Bewegung steht im Zentrum, auch bei den in schnellen Folgen ablaufenden Videos Gunda Försters oder den nachbearbeiteten Fotografien.
Vision in Motion, so lautete eine Schrift Moholy-Nagys von 1947. Vom »Sehen in Bewegung«, das der Film ermöglicht hatte, waren die frühen Lichtkünstler fasziniert. Sie wollten sich diesem Sehen öffnen, indem sie kinetische Elemente in ihre Kunst einbezogen. Heutzutage ist das »Sehen in Bewegung« etwas ganz Alltägliches geworden. Das Neue, das die Lichtkunst dabei schaffen kann, sind ganze Lichträume, die auf eine Wahrnehmung zielen, die nicht nur das Sehen einschließt, sondern auch das Hören, das Fühlen. Sie erlauben den Betrachter*innen, sich selbst zu bewegen, indem er in diesem Lichtraum umher gehen kann – wahrzunehmen, indem sie sich selbst bewegen also – und dadurch einen hohen Grad an Eigenwahrnehmung zu erreichen, bewusst wahrzunehmen, wie sie selbst sehen, hören, fühlen.
Lichtkunst? Kunst mit »Spannung«! »Kunst unter Strom« eben.