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MINIMAL ART
»Die Gegenstände sollen den objektiven Charakter von Industrieprodukten haben. Sie sollen nichts anderes vorstellen, als sie sind.« ⸺ Charlotte Posenenske
Elementare Formen, serielle Anordnungen, industrielle Materialien und Fertigungsweisen sind Kennzeichen der Minimal Art, die sich in den 1960er-Jahren als Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus und zur Pop Art entwickelte.
Einfache Metallplatten, zu quadratischer, begehbarer Fläche auf dem Boden ausgelegt, von Carl Andre; eine industriell vorgefertigte Neonröhre, diagonal an der Wand befestigt, von Dan Flavin; Boxen aus Metall und Plexiglas in serieller Reihung von Donald Judd; Gitterstrukturen aus Stahl oder Alu, in immer neuen Variationen miteinander kombiniert, von Sol LeWitt; L-förmige Haken aus Sperrholz, in unterschiedlicher Lage präsentiert, von Robert Morris – so lassen sich die objekthaften Werke der Hauptvertreter der Minimal Art beschreiben, die Anfang der 1960er-Jahre in Nordamerika, vorwiegend in Ateliers in New York und Los Angeles, entstanden.
Die Künstler*innen rebellierten gegen die emotionalen Gesten des Abstrakten Expressionismus und die triviale Ikonografie der Pop Art. Charakteristisch sind die Verwendung elementarer, häufig geometrischer Formen, die serielle, wertungsfreie Anordnung der Raumkörper sowie der Einsatz industriell produzierter Materialien und Fertigungsweisen. Dabei veränderten sie den Begriff des Kunstwerks radikal. Die Arbeiten der Minimal Art, die ausschließlich im Bereich der Skulptur angesiedelt sind, vermieden nicht nur jede individuelle Handschrift der Künstler*in, zudem verweigerten sie jegliche illusionistische, metaphorische oder symbolische Lesart: Das Werk ist, was es ist, Form und Inhalt fallen in eins. Um mit Frank Stella zu sprechen: »What you see is what you see.«
Trotz dieser programmatischen Nicht-Referenzialität wurden die Skulpturen nicht als in sich abgeschlossene Werke aufgefasst, sondern in ihren Wechselbezügen der einzelnen Elemente untereinander und vor allem in ihrer Beziehung zum Raum gesehen. »Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Dadurch ist Schluss mit dem Problem des Illusionismus und des buchstäblichen Raums […], dies bedeutet die Befreiung von einem der augenfälligsten Relikte der europäischen Kunst, gegen das am meisten einzuwenden ist«, schrieb Donald Judd in seinem Essay Specific Objects. Eine unmittelbare Wahrnehmung von Material und Raum im neu geschaffenen Verhältnis von Kunstwerk, Ort und Betrachter – vehement formulierten die Protagonisten der Minimal Art dieses zentrale Anliegen.
Den Begriff Minimal Art prägte 1965 der englische Philosoph Richard Wollheim in seinem gleichnamigen Essay der Zeitschrift Arts Magazine. Er charakterisierte darin jedoch nicht die neue Kunstrichtung, sondern beschrieb den »minimalen Kunstgehalt« wesentlicher Tendenzen der Zeit etwa in Marcel Duchamps Readymades, Ad Reinhardts nahezu monochromen Leinwänden oder Robert Rauschenbergs Combine Paintings. Erst die Kunstkritik übertrug den Begriff auf die neue Bewegung, die anfangs mit Bezeichnungen wie ABC Art, Cool Art, Rezeptive Art, Primary Structures oder Literalist Art gefasst wurde. Die Künstler*innen selbst fanden sich mit diesem Terminus unzureichend beschrieben, Sol LeWitt beispielsweise äußerte ironisch: »Neuerdings ist viel von Minimal Art die Rede, aber ich habe noch niemanden getroffen, der sich dazu bekennen würde, so etwas zu machen.« 1966 indes wurden im Jewish Museum in New York die Werke der Minimalisten erstmals in einer Überblicksschau mit dem Titel Primary Structures der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die reduzierte Formensprache der Minimal Art ließ nicht nur das Kunstpublikum, sondern auch die Kunstkritik zunächst ratlos mit der Frage allein: Ist das noch Kunst? Der Ankauf eines Werkes von Carl Andre durch die Londoner Tate Gallery etwa wurde in der Presse zum Skandal erhoben: »Ziegelsteine sind keine Kunstwerke. Ziegelsteine sind Ziegelsteine. Man kann damit Wände bauen oder das Schaufenster eines Juweliers einwerfen, aber man kann sie nicht in zwei Schichten übereinander stapeln und das dann als Skulptur bezeichnen«, schrieb die Daily Mirror. Doch bald wurden – vor allem in den Feuilletons – die Minimalisten aus Pop-kritischen Kreisen heraus gefördert, ihren Arbeiten wurde gegenüber denen der Op-Art, die vielen als banale, europäisch dominierte Augentäuscherei galt, den Vorzug gegeben – und so rückte die Minimal Art letztlich rasch als eine der letzten »Ismen« in den Kanon historischer Kunstbewegungen auf.
Für die Entwicklung der Minimal Art lieferte die neodadaistische Assemblage und Objektkunst entscheidende Impulse, doch kam auch der Malerei eine vorbereitende Rolle zu: Colourfield und Hard Edge-Malerei waren formale Vorbilder; Gemälde, die – wie etwa Robert Rauschenbergs Combine Paintings, Jasper Johns' Targets oder Flag Paintings, Frank Stellas Black Paintings oder Shaped Canvases – zunehmend objekthaft wurden, waren ebenso eine wichtige Grundlage für die Kunstströmung.
Großen Einfluss hatte die Minimal Art selbst auf Kunstrichtungen wie Land Art und Prozesskunst, entscheidende Impulse gab sie vor allem der Konzeptkunst. Zwar bleibt der Begriff Minimal Art auf die bildende Kunst bezogen, minimalistische Tendenzen finden sich jedoch zudem in anderen künstlerischen Disziplinen wie Musik, Tanz, Literatur, Architektur oder Design.
Die Minimal Art wird gemeinhin als genuin amerikanische Kunstbewegung angesehen und verbindet sich meist mit den wenigen, oben genannten Künstlern, die in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre auch in Deutschland Aufmerksamkeit erregen sollten. Als Auslöser hierfür werden im Allgemeinen eine 1968 von Den Haag ausgehende Wanderausstellung zur Minimal Art genannt, die wenig später auch in Düsseldorf und Berlin gezeigt wurde, sowie die 4. documenta 1968 in Kassel, die neben der Pop Art auch die abstrakt-reduktiven Tendenzen in der amerikanischen Kunst vorstellte.
Doch entwickelte sich neben der klassischen Minimal Art in Deutschland in den 1960er-Jahren ein eigenständiger Minimalismus, angeregt etwa durch die europäische Zero-Bewegung mit Zentren in Düsseldorf, Mailand, Paris und Amsterdam, durch die Auseinandersetzung mit abstrakter Kunst, mit konstruktiven und konkreten Tendenzen. Als Repräsentant*innen dieses spezifisch deutschen Minimalismus gelten Charlotte Posenenske, Hanne Darboven oder Franz Erhard Walther, mit Skulptur, Wandrelief, Malerei und Zeichnung umfasste er ein erweitertes Feld künstlerischer Medien.
Darüber hinaus sei erwähnt, dass die amerikanischen Minimalisten ihre Werke nicht gänzlich aus »amerikanischem Geist« schufen, vielmehr entwickelten sie diese aus den Wechselwirkungen der künstlerischen Diskussionen der Zeit: In ihren Schriften beispielsweise bezogen sie sich durchaus auf europäische Traditionen in der Nachfolge von Bauhaus und Suprematismus oder auf russische Avantgardekunst wie den Konstruktivismus um Kasimir Malewitsch.
Seit den 1960er-Jahren haben Künstler*innen wie Félix González-Torres, Rodney Graham, Mona Hatoum, Imi Knoebel, Blinky Palermo, Reiner Ruthenbeck, Santiago Sierra, Wolfgang Tillmans, Rosemarie Trockel, Rachel Whiteread oder Andrea Zittel die formal reduzierte Formensprache des Minimalismus auf vielfältige Weise aufgegriffen und bis in die Gegenwart hinein – etwa durch soziale und politische Ansätze – angereichert.
Und auch in unserer Alltagskultur ist der Minimalismus einmal mehr angekommen: »Minimalismus leben« heißt der neue Trend, bei dem Neo-Minimalisten, ihres konsum- und erlebnisorientierten Lebensstils überdrüssig, dem »Weniger ist mehr« erneut huldigen.