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INTERVIEW MIT CLEMENS TREMMEL
Clemens Tremmel, 1988 in Eisenhüttenstadt geboren, malt auf Aluminium statt auf Leinwand. Seine Werke beziehen sich, so meint man zunächst, auf die Epoche der Romantik. Ausgezeichnet mit dem Caspar-David-Friedrich Preis im Jahr 2013, schafft er jedoch keine idealisierte Landschaften, sondern vielmehr Landschaftsbilder, die teilweise geradezu wüst anmuten. Seine Werke durchbrechen den Duktus historischer Malweise nämlich durch Übermalungen und Kratzungen auf der Leinwand. Die vermutete romantische Weltordnung wird von Tremmel also durch die Bearbeitung der Leinwand infrage gestellt.
Im Interview mit Hatje Cantz spricht Clemens Tremmel über Friedrichs künstlerische Werte der Demut und Bescheidenheit als Gegenentwurf zur heutigen Oberflächlichkeit.
Hatje Cantz: Haben Sie in Ihrem Leben einen ganz persönlichen Friedrich-Moment erlebt, von dem Sie uns erzählen mögen?
Clemens Tremmel: Davon gab und gibt es in meinem bisherigen Leben sehr viele. Besser gesagt, (er)lebe ich diese Momente permanent. Mit Caspar David Friedrich und seinem Werk verbinde ich die Sehnsucht nach Freiheit, Weite und Natürlichkeit, ein Gefühl von tiefem Verständnis der Umwelt, aber auch sich selbst gegenüber - ein Gefühl der Hingabe, des Sich-Verlierens und der Verschmelzung. Ich würde es in etwa wie eine Welle bei Nacht beschreiben, die sich aus dem scheinbaren Nichts behutsam auf einen zu und wieder wegbewegt.
HC: Können Sie uns sagen, welche Elemente aus Friedrichs Werk Sie in Ihren
eigenen Kunstwerken aufgegriffen haben und warum Sie Friedrich auch heutzutage für relevant halten?
CT: Neben den Gefühlen entnehme ich Friedrichs Werk Botschaften bzw. Werte, für die es sich, meiner Meinung nach, lohnt, einzusetzen. Das sind Werte wie Demut, Bescheidenheit, ernsthaftes Mitgefühl, Rücksicht und Wohlwollen. Werte, die, so scheint es mir zumindest, in der heutigen Zeit keine große Rolle mehr spielen oder zumindest in Vergessenheit geraten bzw verdrängt werden von aggressiven Werbeversprechen, technischen Raffinessen und dem stetigen Wunsch nach Fortschritt - koste es, was es wolle.
Um dieser Oberflächlichkeit – einer Welt zwischen "Alles so nice!" und "Geiz dich geil!" – zu entfliehen oder ihr etwas entgegenzusetzen, suche, finde und erlebe ich weltweit Orte/Landschaften, die mir das Gefühl der Tiefe, gar Erhabenheit geben. Dort gerate ich in eine Art Strudel, Sog oder Rausch, den ich später versuche, malerisch auf Leinwand bzw. Aluminium zu bannen. Nachträgliche Eingriffe wie das Übermalen, Zerkratzen oder Zerschlagen dienen der Verletzung der Ästhetik. Der Verlust des Ganzen kann als Verlust an Harmonie empfunden werden. Bewusstmachen, was wirklich fehlt, durch die Zerstörung des Ideals, als Antwort auf die Leere und Rationalität in unserer Zeit.
Bildcredit : Headerbild: © Nicolás Rupcich ; Bilder im Text: Clemens Tremmel – Bromo, 2023, © Clemens Tremmel; Clemens Tremmel – Sakhra (3), 2021, © Clemens Tremmel