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INTERVIEW MIT LOUIS HAY
Louis Hay, geboren 1996, lebt und arbeitet als freier Künstler und Filmemacher in Frankfurt am Main. Er absolvierte sein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, wo er bis 2021 bei Prof. Clemens von Wedemeyer studierte. Seit 2023 ist er Meisterschüler von Prof. Gerard Byrne an der Städelschule Frakfurt a. Main.
Hays künstlerische Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema der Zeitlichkeit, die er anhand filmischer und skulpturaler Medien erforscht. Hierbei interessiert sich Hay für das Zusammenspiel von Form und Denken sowie die Darstellung subjektiver Erfahrungen. Seine Werke zeichnen sich durch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung und Wahrnehmung aus.
Im Gespräch mit Hatje Cantz spricht Louis Hay über eine mystische Nebelerfahrung während der Coronapandemie und wie ihm Caspar David Friedrich in Momenten der Isolation und Denkblockaden Inspiration beschert.
Louis Hay, NEBEL (Film Still, mit Aufnahmen aus Death Stranding © 2019 Kojima Productions)
Hatje Cantz: Hast du in deinem Leben einen ganz persönlichen Friedrich-Moment erlebt, von dem du uns erzählen magst?
Louis Hay: Im Mai 2020, in den ersten Monaten nach Ausbruch der Corona-Pandemie, verbrachte ich mit Freunden eine Woche auf einem Segelboot auf der Ostsee. Wir wollten eigentlich zu einer dänischen Insel segeln, was aufgrund des Lockdowns nicht möglich war. Eines Morgens wachten waren wir eingehüllt in einen dicken Nebel auf. Als der Nebel sich nach einigen Stunden lichtete, war weit und breit kein Land mehr in Sicht. Das war eine absolute Leere, eine beeindruckende Naturerfahrung. Aber der Hintergrund der Pandemie verlieh diesem Moment eine ganz besondere Stimmung. Es fühlte sich an als wären wir an einem Nullpunkt angekommen, von dem aus alles möglich, alles neu denkbar werden würde. Das war sehr romantisch. Sowohl in seiner Schönheit, als auch in seiner Verklärung des tatsächlichen gesellschaftlichen Moments.
Hatje Cantz: Kannst du uns sagen, welche Elemente aus Friedrichs Werk du in deinen eigenen Kunstwerken aufgegriffen hast und welche Rolle diese in deiner künstlerischen Praxis spielen?
Louis Hay: In meinem Essay-Film NEBEL zitiere ich explizit Caspar David Friedrichs Wanderer Über dem Nebelmeer. Der Film bildet den Ausgangspunkt für eine Trilogie von Filmen, die sich mit bestimmten Denkformen auseinandersetzen. NEBEL war aber auch eine Reaktion auf eine alltägliche Erfahrung: das Gefühl, Gedanken nicht mehr zu Ende denken, Gegenstände nicht mehr durchdringen zu können. So genannter Brain Fog. Eine Resignation des Denkens angesichts der Masse und Geschwindigkeit der Informationen, die mich umgeben. Mein Film betrachtet die Nebel-Metapher anhand verschiedenster (pop-)kultureller Artefakte und versucht dabei, diesen Zustand formal im Bewusstsein des Zuschauenden zu rekonstruieren. Das letzte Kapitel des Films ist der Einsamkeit gewidmet. Ich bin in die sächsische Schweiz gefahren und habe an der Stelle, an der Friedrich sein Bild gemalt hat, Nebel gefilmt. Mir fielen formale Parallelen zwischen dem Wanderer Über dem Nebelmeer und neueren Werken wie Jonathan Glazers Under the Skin (2013) und Hideo Kojimas Death Stranding (2019) auf. So konnte ich eine Verbindung herstellen zwischen den Ideen der Aufklärung und der Romantik und der emotionalen, politischen und technischen Vereinzelung in der Gegenwart. Der Wanderer über dem Nebelmeer ist gewissermaßen der Vorbote eines bestimmten Zukunftsszenarios. Er steht erhöht auf einem Felsen, an einer Stelle, die eigentlichen einen guten Überblick geben sollte und sieht nichts als Nebel. Was für Friedrich ein erhabenes Naturschauspiel darstellte erscheint mir heute eher als ein Agent der Isolation.
Hatje Cantz: Warum ist Friedrichs Werk deiner Meinung nach heutzutage relevant?
Louis Hay: Ich bin kein Kunsthistoriker aber was ich sagen kann: es ist schon eine künstlerische Leistung, wenn zu seinem 250. Jubiläum von „Friedrich-Momenten“ gesprochen wird. Spaß beiseite, Hans von Trotha hat es in seinem einem Essay zum Friedrich-Jubiläum passend formuliert: „Wenn wir Caspar David Friedrich feiern, feiern wir uns selbst.“ Für mich ist die Frage, wie wir Heute mit Geschichte umgehen. Ob wir, womöglich aus Mangel an Bedeutung in unseren Leben, oder aus Angst vor einer instabilen Zukunft, wieder zu einem romantisierenden Historismus zurückkehren. Oder ob wir im Vergangenen Elemente aufspüren können, mit denen die Gegenwart bestimmbar und die Möglichkeit auf eine emanzipierte Zukunft freigehalten werden kann. Ich denke hierbei können Künstler*innen helfen.
Louis Hay, NEBEL (Film Still, mit Aufnahmen von Under the Skin © 2013 FILM4