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INTERVIEW MIT SIMON SHIM-SUTCLIFFE
Simon Shim-Sutcliffe, geboren 1997 in Kanada, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er an der Städelschule, studierte Bildhauerei an der Glasgow School of Arts und Kunstgeschichte an der University of Toronto. Sein Schaffen umfasst Bilder, Videos und kollaborative immersive Installationen. Zentral für seine Praxis ist ein Interesse an den zeitgenössischen Überschüssen von Bildern, Infrastruktur und Natur.
Ausstellungsansicht Simon Shim-Sutcliffe: True Desires
Im Gespräch mit Hatje Cantz spricht Simon Shim-Sutcliffe über die Zusammenhänge zwischen großen Staudämmen und Caspar David Friedrich und einer ganz besonderen eigenen Arbeit, die sich konkret auf das Werk des Malers der Romantik bezieht.
Hatje Cantz: Hast du in deinem Leben einen ganz persönlichen Friedrich-Moment erlebt, von dem du uns erzählen magst?
Vor dem absolut monumentalen Enguri-Damm in Georgien oder der pyramidenartigen Le Grande Dixence in der Schweiz zu stehen, lässt einen nicht anders fühlen als eine Rückenfigur in einem Gemälde von Caspar David Friedrich. In den letzten Jahren habe ich große Wasserkraftdämme auf der ganzen Welt besucht. Ich hatte das Gefühl, dass diese infrastrukturellen Stätten der Dämme wie fotografische Schnitte in einem kinematischen Fluss der Zeit fungieren. Wenn wir von diesen Dämmen aus auf die Landschaften blickten, tat sich vor uns eine Panoramaaussicht auf, welche die von uns konstruierte Landschaft zu destillieren schien. Beim Besuch dieser Orte begann ich mir vorzustellen, dass diese Infrastruktur trotz ihrer Bedeutung als sich aufdrängendes Beispiel der Moderne ihre Funktion und Notwendigkeit verlieren wird und wir in Zukunft auf sie wie auf die verfallenen Burgkulissen eines Gemäldes von Caspar David Friedrich blicken werden.
HC: Kannst du uns sagen, welche Elemente aus Friedrichs Werk du in deinen eigenen Kunstwerken aufgegriffen haben und welche Rolle diese in deiner künstlerischen Praxis spielen?
Ich habe an einem Werk gearbeitet, das direkt auf das Gebäude aus Caspar David Friedrichs Gemälde von 1827, Verschneite Hütte, verweist. Im Jahr seiner Entstehung wird auch die Fotografie geboren. Das Bild präsentiert ambivalent eine verfallene Hütte von Landarbeitern oder einen Steinbrucheingang. Ich habe eine lebensgroße Version der Hütte auf einer abgelegenen Insel in Kanada gebaut, wo sie seit Jahren absichtlich verfällt. Ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um sie als Fotografie zu rendern, um die Infrastruktur des Bildes neu zu überdenken, indem ich durch das Verlangsamen und Warten auf den richtigen Schnee und das Zurückhalten des richtigen Verfalls hinarbeite. Es geht darum, die verschneite Hütte von Caspar David Friedrichs Gemälde fast wie eine Art urzeitliches Erdwerk oder zeitgenössisches Stück Landkunst zu begreifen. Wenn man sich mit der mehr als menschlichen Welt auseinandersetzt, wird das Gemälde zur Spitze eines Eisbergs innerhalb einer konstruierten Landschaft.
Ausstellungsansicht Simon Shim-Sutcliffe: Organs of Sentiment
HC: Warum ist Friedrichs Werk deiner Meinung nach heutzutage relevant?
Ich sehe ihn als eine Art ersten Post-Studio-Künstler par excellence, der uns beigebracht hat, wie man sieht, indem er unsere Augen auf Gordon Matta Clark und Robert Smithson und darüberhinaus schult. Ein Maler einer fragilen Realität, dessen Kollegen nicht andere Künstler sind, sondern die Flora und Fauna der Welt. Die malerische Signatur von Caspar David Friedrich entfaltet sich durch eine Beziehung zur Zone der greifbaren Welt. Ich glaube, Caspar David Friedrich gewinnt alleine schon an Bedeutung, wenn er den Menschen zeigt, wo sie stehen. Ich betrachte meine eigene künstlerische Praxis als eine, die in situ arbeitet, und habe gelernt, dass das genaue Untersuchen der stetig neu lesbaren Gemälde von Friedrich mir als Kompass für einen sich ständig verändernden Planeten dient.
Das Gespräch mit Simon Shim-Sutcliffe für Hatje Cantz führte László Rupp im März 2024.
Headerbild © Adam Shiu-Yang Shaw