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RENAISSANCE
»Diejenigen, welche sich in Praxis ohne Wissenschaft verlieren, sind wie Schiffer, die ohne Steuerruder und ohne Kompass zu Schiffe gehen, sie sind nie sicher, wohin sie gehen. Die Praxis soll stets auf guter Theorie aufgebaut sein.« ⸺ Leonardo da Vinci
Als nichts Geringeres als eine »Wiedergeburt der Künste«, (ital. rinascità) bezeichnet der Künstler und Künstlerbiograf Giorgio Vasari 1550 in seinen Lebensbeschreibungen die Leistung Giottos, der an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert mit seinen naturalistischen Darstellungen den ersten Schritt zur Überwindung der mittelalterlichen Ausdrucksformen tut. Ausgehend von Italien entwickeln sich in der Renaissance ein neues Weltbild und eine neue Kunst, deren Einfluss auf die späteren Generationen überwältigend ist.
Zum Epochenbegriff wird »Renaissance« allerdings erst im 19. Jahrhundert durch den Kunsthistoriker Jacob Burckhardt. Er legt in seinem Werk Die Kunst der Renaissance in Italien (1860) die zeitlichen Grenzen zwischen 1350 und 1600 fest. Diese Jahreszahlen sind jedoch diskussionswürdig, denn während die Bronzetüren für das Baptisterium in Florenz, die 1401 ausgeschrieben wurden, heute als Angelpunkt für den Neuanfang gelten, steht zeitgleich nördlich der Alpen die Spätgotik in voller Blüte.
Der Humanismus ist die prägende Geistesbewegung der Zeit. Durch die Beschäftigung mit Literatur, Geschichte und Philosophie der Antike wird das theozentrische Weltbild des Mittelalters von einer Weltsicht abgelöst, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. An die Stelle einer mystisch-geistigen Orientierung tritt die Suche nach mathematisch-naturwissenschaftlicher Klarheit.
Die Künstler studieren intensiv die Formensprache antiker Kunst. Naturstudien gewinnen an Bedeutung. Die damit verbundene Tendenz zur Säkularisierung ändert jedoch nichts daran, dass die Kirche noch vor den Fürstenhöfen und reichen Händlerfamilien aus Florenz, Mailand, Venedig und Rom die bedeutendste Auftraggeberin der Künstler bleibt.
Neuerungen und Entdeckungen prägen die Epoche. Von besonderer Bedeutung für die Kunst ist die Wiederentdeckung der Zentralperspektive, mit deren Hilfe ein illusionistischer dreidimensionaler Bildraum geschaffen werden kann. Die Freskotechnik wird wiederentdeckt und im 16. Jahrhundert verbreitet sich die Ölmalerei in Italien, die den Künstlern im Vergleich zu der bis dahin vorherrschenden Temperamalerei völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die Malerei – sowohl auf Leinwand als auch auf Putz – wird erstmals zur führenden Gattung. Künstler wie Leonardo da Vinci forschen auch auf geografischem, technischem und naturwissenschaftlichem Gebiet und halten ihre Ergebnisse in Traktaten fest.
Die wachsende Aufmerksamkeit für das Individuum findet ihren Ausdruck in der Porträtmalerei, die sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts als eigenständiges Genre etabliert. Die Historienmalerei wird gleichwertig zu mythologischen und biblischen Themen. Der Künstler selbst taucht aus der Anonymität auf, die im Mittelalter die Regel war, und wird nicht nur zum Gegenstand der Geschichtsschreibung: Man versteht seine Schöpferkraft nun als Abbild des göttlichen Geistes.
Als Begründer der Malerei der Frührenaissance gilt Masaccio, der Giottos realistischen Stil wieder aufgreift und plastische Darstellungen und die Anwendung der Zentralperspektive verbindet. Auch Paolo Uccello ist ein Meister der plastischen Malerei. Der Dominikanermönch Fra Angelico verknüpft in seinen religiösen Werken anmutige Personendarstellungen mit transparenten Farben.
In Venedig nimmt Jacopo Bellini die Stellung als der erste Frührenaissance-Maler ein. Piero della Francesca stellt mit seinen theoretischen Werken über Perspektive und Mathematik die Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst her. Mit der Entdeckung des Lufttons in der Malerei schafft er eine neue Einheit des Bildraumes. Der Humanist, Gelehrte und Universalkünstler Leon Battista Alberti verfasst das wegweisende dreibändige Werk über die Malerei, Della Pittura (1436), das eindrucksvoll belegt, dass in der Renaissance die Wiege der Kunstwissenschaft steht.
In den folgenden Jahrzehnten konzentrieren sich in Florenz Antonio Pollaiuolo und Andrea del Verrocchio, der Lehrer von Leonardo da Vinci, anhand von Studien am lebenden Modell auf die Anatomie des Menschen. Andrea Mantegna aus Padua erweckt durch die Anwendung der Trompe l’œil-Technik die Illusion eines weiten Raumes und beeinflusst durch seine reiche Formgebung und kühne Perspektive besonders die Kunst seines Schwagers Giovanni Bellini. Dieser ist fast ausschließlich in Venedig tätig und wirkt seinerseits auf eine Reihe bedeutender Schüler ein, darunter Sebastiano del Piombo, Giorgione und Tizian. Während das leuchtende Kolorit die venezianische Malerei auszeichnet, dominiert in Florenz das Prinzip der Zeichnung (disegno). Sandro Botticelli gehört mit seinen lyrisch-dekorativen Bildern, die in monumentaler Form mythologische Themen zum Gegenstand haben, zu den späten Hauptvertretern der Frührenaissance.
Die Hochrenaissance, etwa ab 1500, wird dominiert von Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael, die die Erfüllung universeller künstlerischer Ideale verkörpern. Das Zentrum der Kunst verlagert sich nach Rom an den Hof von Papst Julius II. Der bedeutendste Vertreter der venezianischen Hochrenaissance ist Tizian. Er setzt im Bereich der staatlich-repräsentativen Porträtmalerei neue Maßstäbe. Sein Stil ist durch Farbreichtum, monumentale Figuren und idealisierte Landschaften gekennzeichnet.
Um 1520 beginnt sich mit dem Manierismus ein Stil durchzusetzen, der durch überlange, gedrehte Figuren mit stilisierten Bewegungen und unklaren räumlichen Beziehungen zum Hintergrund gekennzeichnet ist. Sein bedeutendster Vertreter in Venedig ist Tintoretto, der Tizians reiche Farbpalette mit der kraftvollen Linienführung Michelangelos kombiniert. Tintoretto ist fasziniert von optischen Effekten, dramatischen Verkürzungen und ungewöhnlichen Kompositionen sowie dem virtuosen Umgang mit Lichteffekten.
Der flämische Maler Jan van Eyck gilt als Begründer der Renaissancemalerei in Flandern und den Niederlanden. Rogier van der Weyden aus dem flämischen Tournai bereist 1450 Italien und beeindruckt mit seinen Werken besonders die Künstler in Ferrara. Dirk Bouts ist einer der ersten Maler nördlich der Alpen, der die Zentralperspektive konsequent anwendet. Hieronymus Boschs imaginäre, surreale Bilderwelt beeinflusst das Werk des Flamen Pieter Bruegel d. Ä. Die niederländischen und flämischen Manieristen wie Bernard van Orley, Lucas van Leyden und Jan van Scorel wurden durch Kupferstiche von Werken Michelangelos und Raffaels beeinflusst.
Mit dem Maler, Zeichner und Kupferstecher Albrecht Dürer, der mit seinen Holzschnitten und Kupferstichen neue Maßstäbe setzt, erreicht die deutsche Renaissancekunst ihren Höhepunkt. Dürer unternimmt 1494 und 1505 bis 1507 ausgedehnte Reisen nach Italien sowie nach Flandern und in die Niederlande (1520 und 1521). Wie viele seiner italienischen Kollegen ist er auch wissenschaftlich interessiert und als Kunsttheoretiker tätig. Sein Werk fungiert als Bindeglied zwischen der italienischen Renaissance und den niederländischen Stilrichtungen.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hat sich die Kunst der Renaissance in ihren unterschiedlichen landestypischen Ausprägungen in ganz Europa verbreitet. Die religiösen Visionen El Grecos in Spaniern markieren das Ende der Epoche.